Als aus Feinden Helfer wurden

Hochdahl · Im Jahre 1945, vor genau 73 Jahren, haben sich an der Haaner Straße in Millrath innerhalb kürzester Zeit drei bemerkenswerte Vorfälle ereignet: Ein Landarbeiter wurde kurz vor Kriegsende von einem britischen Jagdflieger erschossen und zwei Kinder kamen nach Kriegsende mit amerikanischer Hilfe zur Welt.

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Die bewegenden Momente hat unser Leser Herbert Bander festgehalten.

In der Pfarrchronik der katholischen Kirchengemeinde Hochdahl hat der damalige Pastor Karl Faßbender kurz vor Kriegsende einen Todesfall notiert, der Anlass zu Nachforschungen gab. Demnach war am 22. März 1945 Giovanni Angelo De Bortoli, italienischer Staatsbürger und langjähriger Knecht auf dem Hof Kamp des Bauern Tiefers, mit einem Fuhrwerk seines Arbeitgebers unterwegs. Er hatte an diesem Tag wieder einmal frische Milch zur Stammkundschaft gebracht und war auf dem Heimweg. Als er im heutigen Kreuzungsbereich Haaner-, Sedentaler- und Willbecker Straße den relativ steilen Berg (im Volksmund "Kampfsberg") vor sich hatte, wurde er plötzlich von einem feindlichen Jagdflugzeug vom Typ Supermarine Spitfire angegriffen und mitsamt seinem Pferd getötet. Auf der Luftbildkarte von 1954 ist die Abschussstelle markiert (Ziff. 1).

Ein damals 14-jähriger Dorfjunge, der sofort zum Unglücksort eilte, erinnert sich noch heute voller Wut an das schreckliche Geschehen und auch daran, dass am Abend von dem Ackergaul außer Haut und Knochen nichts mehr übrig war. Der Fliegerangriff stand gegen Ende des Krieges wohl im Zusammenhang mit Attacken auf Güterzüge, die zwischen Düsseldorf und Wuppertal verkehrten. In Höhe von Millrath sind damals einige Male vornehmlich die Loks ins Visier genommen und teilweise zerstört worden. Da konnten auch die Geschützstellungen nicht eingreifen, die an den Südhängen von Hochdahl und Erkrath platziert waren. Dann wendete sich das Blatt. Der einstige Kriegsgegner trat nun als Helfer in der Not in Erscheinung.

Der Zusammenhang trat vor einigen Jahren zutage, als in der örtlichen Presse die Suchmeldung eines Amerikaners abgedruckt wurde: "Robert St. Clair sucht Mutter und Kind nach 66 Jahren". Der damals junge Soldat war als Streifenführer im Einsatz und eng in das denkwürdige Geschehen eingebunden. Zunächst bleib die Suche ohne Erfolg. Von der Suchmeldung erfuhr zufällig ein Mitglied des Bergischen Geschichtsvereins. Diesem Hobbyforscher gelang es durch intensive Nachforschungen, den Fall zu einem Happy End zu führen. Die Mutter war zwar verstorben, der Nachwuchs aber lebte in Ostdeutschland. Es stellte sich heraus, dass dieses Kind mit Namen Lothar Lemke am 9. Mai 1945 mit Beistand der amerikanischen Besatzungsmacht in unmittelbarer Nähe zur Abschussstelle auf die Welt gekommen war (Ziff. 2). Das Wohnhaus (früher Birken 1)stand später beim Ausbau der Haaner Straße (K 16) im Weg und wurde abgerissen.

Zum Zeitpunkt der Geburt war der Vater des Babys in Kriegsgefangenschaft. Bei bereits einsetzenden Wehen wurde der angehende Großvater und Lokführer Emil Nölling unter militärischer Begleitung ausgeschickt, um mit Hilfe einer Dampflok einen Arzt aus Düsseldorf zu holen. Als dieser am nächsten Morgen eintraf, hatte das Kind mit Hilfe eines amerikanischen Sanitäters längst die ersten Schreie getan. Noch im gleichen Monat, ebenfalls unweit der Abschussstelle und wiederum an der Haaner Straße,
kam am 24. Mai 1945 mit Christa Krüll ein weiteres Kind auf die Welt. Geburtshilfe von deutscher Seite war unter den damaligen Verhältnissen auch hier nicht zu erwarten. Darum musste in höchster Eile eine Lösung gefunden werden. Der damals fünfjährige Bruder schildert den dramatischen Ablauf wie folgt: Trotz Ausgangssperre nach Kriegsende machte sich ein gegenüber wohnender Nachbar mit seinem Motorrad auf den Weg, um Hilfe bei den Amerikanern zu holen. Die mutige Tat war von Erfolg gekrönt. Ein Stabsarzt eilte herbei — in Begleitung von sechs Soldaten "mit aufgepflanztem Bajonett". Auch hier ging schließlich alles gut. Das Geburtshaus an der Haaner Straße 6 (Ziff. 3) existiert noch heute.

Dahinter stand das inzwischen abgerissene Backhaus der Bäckerei Kampf. An den tragischen Tod von Giovanni De Bortoli, den die Millrather Johann nannten, erinnert eine Gedenktafel auf dem Hof Kampf (heute Cafe "Op dem Kamp"). Er wurde damals auf dem Trillser Friedhof beigesetzt. 1954 wurden seine sterblichen Überreste auf Wunsch der Angehörigen in sein italienisches Heimatdorf Sovramonte (Provinz Belluno) überführt. Die Hochdahler Bevölkerung ist im Verlauf des Zweiten Weltkriegs von größeren Schäden weitgehend verschont geblieben. Bis die Amerikaner am 16. April 1945 bei den letzten Kriegshandlungen im Westen von Deutschland hier einzogen, hatten die Bewohner Abwürfe mit Bomben und Phosphorkanistern auf die Felder der umliegenden Gehöfte erlebt.

Bei der Befreiung waren mehrere Tote zu beklagen, wovon einige auf dem Hochdahler Neanderfriedhof beigesetzt wurden. Die Amerikaner verloren zwei Soldaten beim Abschuss eines Panzers, der bis zum Hof des Bauern Becker in Kempen vorgerückt war. Die Flugabwehrgeschütze auf Gut Karschhausen und am Pimpelsberg waren bis zur letzten Minute (!)im Einsatz. Die Flakstellungen sind nach dem Krieg erst nach und nach von der Bildfläche verschwunden. Für uns Kinder war der Kontakt mit diesen Relikten ein Abenteuer, eine Vierlingsflak diente sogar als Karussell. Von alldem ist nichts mehr übrig geblieben.

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